Was Frauen ab 40 wollen? Das gleiche wie jeder andere Mensch.
Stell dir vor, wie es wäre, im Internet auf ein zufälliges Bild und einen zufälligen Text zu stoßen. Du hältst inne zu merken, dass da draußen tatsächlich jemand ist, der einen Teil von dir anspricht, den du aufgegeben oder nie mit jemandem geteilt hast. Ein Teil von dir, der nie in Filmen oder Magazinen gezeigt wird. Vielleicht in Romanen. Ein Thema, das nie wirklich angesprochen wird, es sei denn, es hat mit jemand anderem zu tun oder mit dem, was du selbst tust. Niemand spricht wirklich darüber, es sei denn, du gehst zu einem Retreat oder in die Selbsthilfeabteilung einer Buchhandlung. Aber hier vor dir ist es. Etwas Echtes, Greifbares. Etwas, das es nur für jemanden gibt, der so ist wie du.
Frauen ab 40 werden unsichtbar – wie kann das sein?
Das Gefühl, gesehen, gehört und anerkannt zu werden, gehört zu den absoluten Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. Stell dir vor, je mehr Geburtstage du feierst, desto mehr wirst du verdrängt. Wir könnten an dieser Stelle ein Gender-Thema eröffnen, aber ich verzichte an dieser Stelle bewusst darauf. Repräsentation ist wichtig. Ich bin Fotografin, eigentlich bin ich Künstlerin, ich habe an der University of Westminster in London angewandte Kunst studiert und mein Schwerpunkt war immer die Wahrnehmung. Genauer gesagt, unsere innere Wahrnehmung, wie die Gesellschaft uns wahrnimmt, unsere Träume, unsere Realitäten und wie schmal manchmal die Grenze zwischen Realität und dem, was wir für Realität halten, ist.
In den vergangenen zwei Jahren habe ich ein Kunstprojekt verfolgt für Frauen über 40. Es entstand Ende 2020, als ich anfing, Fragen zu stellen. „Warum ich?“ Warum sagten Frauen, dass sie wussten, dass sie zu mir kommen müssen? Warum machen Sie das Fotoshooting? Was ist der Grund? Was bewegt Sie? Warum wollen Sie porträtiert werden? Warum bin ich die Richtige für Sie? Und da kam das Thema von Veränderung und Neuanfang, sich neu entdecken, sich wiederfinden oder zu sich stehen und das Gefühl, dass ich sie verstehe. Sie waren zufällig alle um die 40 oder älter.
Was ich nicht wusste, war, dass genau diese Fragen zu Gesprächen führen würden, die vor, während und nach dem Fotoshooting stattfanden und mir das Gefühl gaben, gesehen, gehört und anerkannt zu werden. Und doch sind sie zu mir gekommen. Warum und was für wunderbar tiefgründige Gespräche beide Seiten gestärkt haben. Ich fragte mich: Geht es anderen auch so?
Daraus entstand mein „Das 40 über 40 Projekt“. Technisch gesehen hatte der Text zum Aufruf kein korrekter Schreibstil. Zu kurze Sätze und definitiv kein gebügeltes Deutsch, nur Gefühle, Anregungen, Fragen und ein Gedanke: „Mal sehen, was passiert“.
Wie ticken Frauen ab 40? Anscheinend anders als „alle“ es glauben.
Das Telefon hat nicht mehr aufgehört, zu klingeln. Einen ganzen Monat lang war ich im Gespräch mit Frauen über mein Projekt und seitdem habe ich damit nicht mehr aufgehört. Bei jedem, mit dem ich spreche, schwingt es mit. So stark, dass ich beschlossen habe, die Ausstellung über das Projekt nach Möglichkeit fortzusetzen und mit der Pressearbeit für das dazugehörige Buch zu beginnen.
Zeit oder Geld, es wird dich immer das eine oder das andere kosten. Es wird von dir verlangen, deine Komfortzone zu verlassen, es wird von dir verlangen, dass du für deine Bemühungen die Antwort erhältst, dass „das Thema nicht das Richtige“ für unser Publikum ist. Es wird Ressourcen erfordern, die du in Projekte, Kampagnen, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen investierst, damit viele Gespräche stattfinden, um das, was ist, infrage zu stellen.
All diese Anstrengungen sind nötig, um Veränderungen zu erreichen. Wenn ich also von der Presse eine Nachricht bekomme, die nicht das richtige Thema für die Leser ist, dann heißt das nur, dass ich mir wieder Zeit nehmen muss. Zeit zum Nachdenken, um eine andere Perspektive einzunehmen, damit sie und unsere Gesellschaft erkennen, dass dies genau das richtige Thema für ihre Leserinnen und Leser ist, hier und jetzt.